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Einmal alles, bitte.

  • Marc
  • 28. Juni 2016
  • 5 Min. Lesezeit

Der Weg nach Jaipur war freudig-aufregend. Ganz früh morgens ging es mit Sack und Pack zum Bahnhof. Ich würde das erste Mal in den Geschmack von indischen Zugreisen kommen! Da die Fahrt nur rund vier Stunden dauerte, hatte ich einen "normalen Sitzplatz" statt Schlafabteil oder ähnliches wie auf zukünftigen 20-stündigen Nachtfahrten zu erwarten. Aber erstmal klein anfangen und langsam herantasten.

Den richtigen Wagon fand ich entlang des irre langen Zuges unter Abgleich meiner Ticketangaben, der Bahnsteigunterteilungen und den außen an den Wagons hängenden Zetteln mit Reservierung und Namen. Im Zug ging es ein wenig zu wie ihm Flugzeug, sodass wir regelmäßig Wasserflaschen und sogar warmes Essen und Tee bekamen. Alles inklusive.

Die Fahrt über Felder und Wiesen samt Morgennebel und aufgehender glühender Sonne war wirklich malerisch und ein schöner Anblick nach Delhis Großstadtchaos. Aber mich sollten auch andere Bilder treffen. Unmengen gehäufter Abfälle direkt am Bahngleis und parallel dazu Baracken und Bretterbuden. Mittendrin der ein oder andere Hund und einige Kühe, während Kinder zwischen den Müllbergen liefen und zu spielen schienen oder sich ungestört vom vorbeifahrenden Zug wie ihre Eltern direkt am Gleis entleerten. Solche Elendsbilder kannte ich aus Schulbüchern oder Reportagen. Aber mit diesen Szene auf dieser Zugfahrt nun zu Haufe konfrontiert zu werden, war noch mal etwas deutlich anderes. Nur das dünne Glas des Zugfensters bot mir eine letzte Schwelle, ja quasi Schutz vor dieser unausweichlichen Realität. Zustände, ein Elend und eine Armut, die unbeschreiblich sind und die schon und auch, selbst wenn ich zurück in meinem Heimatland bin, noch lange fortbestehen werden.

Nach und nach wurde das Bild wieder städtischer, Müll und sich entlang des Zuges entleerende Menschen blieben. Wir näherten uns allmählich Rajasthans Hauptstadt Jaipur. Während ich aus dem Zug ausstieg, merkte ich, dass es mir nicht ganz gut zu gehen schien. Im Hostel könne ich mich ausruhen, dachte ich mir. Der Himmel war blau, die Sonne heiß. Der allgegenwärtige Kampf gegen Anquatschen und versuchter Abzocke sollte wieder beginnen. Ich fragte mich zur Metro durch, die leider gerade erst im Ausbau war. Zumindest ein paar Stationen waren mir vergönnt und weitere Anhaltspunkte hatte ich von Googlemaps Screenshots. Ich wollte eine Busfahrt ausprobieren. Wieder einmal verwiesen mich selbst offizielle Metromitarbeiter an Tuktukfahrer und Taxen. Ich lehnte ab und fragte mich bei einigen Busfahrern durch. Englisch - mangelhaft. Und auch die von mir rausgesuchte Fahrtrichtung oder Station schien vorerst niemand zu kennen. Letztlich fand sich ein Bus. Das ganze entpuppte sich als nicht wiederholungsbedürftig. Der Bus war eher ein Minibus. Ringsherum saßen die Leute gequetscht, in der Mitte standen Leute und vorne saßen noch zwei sehr alte Damen. Ein- und Aussteigen passierte quasi während des Fahrens. Ich durfte mich noch vorne rucksacktragend dazuquetschen und versuchte an irgendwelchen Stangen und Gegenständen Halt zu finden. Wetter und Motor liefen gemeinsam um die Hitze. Draußen wie gehabt der indische Großstadtlautstärkepegel. Hinzu kam, dass mir die Dachverblendung in Kombination mit meiner Standgröße jegliche Sicht und Hoffnung auf Orientierung verwehrte. Dieser Fakt zusammen mit erwähnter Temperatur und dem Fahrstil des Busfahrers ließen meine anfängliche Übelkeit hochsteigen wie der Dachdecker die Leiter. Richtung Keller bewegte sich dagegen mein Halt und meine Standfestigkeit samt Kreislauf. Ich wusste, ich musste raus, und zweifelte so langsam auch daran, ob Busfahrer und ich das gleiche Ziel vor Augen hatten. - Aber dann geschah es: ich wurde rausgewunken, als Zeichen, an meinem gewünschten Halt angekommen zu sein. Mit 15kg auf dem Rücken und angeschlagenem Zustand hopste ich taumelnd durch die schmale Türöffnung aus dem fahrenden Minibus und empfand den Smog der Stadt für eine Sekunde als Frischluft. Mittlerweile wusste ich, dass irgendwas mit mir nicht stimmte und winkte voller Gleichgültigkeit gegenüber meines ursprünglichen Vorhabens, den Weg auf eigene Faust zu meistern, einen Tuktuk-Fahrer aus dem Gewusel und ließ mich zum Hostel fahren.

Endlich angekommen war ich begeistert von Sauberkeit und Zustand des Hostels (Die Kette Zostel (www.zostel.com) in Indien kann ich nur empfehlen!). Bis zum Beziehen des Zimmers sollte noch eine Viertelstunde vergehen. Währenddessen zeigte mir die Hostelfrau die Gemeinschaftsräume und Gegebenheiten: Coole Lounge, große Küche und eine Dachterrasse und alles sehr offen, hell, modern und sehr sauber! Anschließend wollte sie mir in der oberen Etage mein Zimmer zeigen. Mittlerweile ging es mir wirklich dreckig und ich versuchte ihr klar zu machen, dass ich mein Gepäck, so kurz der Weg auch sein mag, später hochhole und nun so schnell wie möglich ins Bad müsse. So schaffte ich es gerade noch bis zum Ende meines Gesundheitszustands. Zumindest das heftige Übergeben sollte mich nur diesen einen Tag belasten. Doch die Durchfälle blieben. Mir war von Anfang an intuitiv bewusst, dass es sich dabei um etwas Schlimmeres handelte als "einfache" Reisekrankheit, die in Indien zu erwarten war. Die ersten drei Tage lag ich fast schon komatös ausschließlich in meinem abgedunkelten Hostelzimmer (ein Viererzimmer, was zum Glück vorerst nur von mir und noch einer Person, die häufig unterwegs war, belegt wurde). Ich versuchte mich vergeblich mit mitgenommenen Elektrolyten aufzubauen und dem Ganzen erfolglos mit Magentropfen entgegenzuwirken. Nach einigen Tagen spürte ich ein kleines vermeintliches Hoch und wollte mir, da ich noch nichts von Jaipur gesehen hatte, direkt einen Palast ansehen,. Es war wirklich schön und die Aussicht von oben fantastisch. Allerdings merkte ich ganz deutlich, wie schwach ich doch war und wie sehr mir die Hitze und der Aufstieg zu schaffen machten, sodass ich oft und viele Pausen brauchte.

Weiterhin im gleichen Hostel zog ich nach einigen Tagen mit zwei Engländerinnen aus Buchungsgründen anderer Gäste aus dem 4er Zimmer in ein 8er Zimmer, was sich als heller und luftiger herausstellte. Die beiden waren wirklich lieb und witzig, was meine ganze Situation etwas erträglicher machte. Wenn ich alleine im Zimmer war, blieben Tränen vor lauter Verzweiflung nicht aus. Mein Gesundheitszustand verbesserte sich nicht und ein Skypegespräch mit meiner Hausärztin machte mir deutlich, dass ich, wenn es nicht besser würde, ins Krankenhaus müsse. Außer trockenen Reis aß ich eigentlich nichts. Mein Bewegungsradius beschränkte sich auf mein Bett und an vermeintlich besseren Tagen mal die Lounge. Ich war körperlich und auch motivational am Ende und verlor innerhalb einer Woche, wie sich später herausstellte, 8-10kg. Und dabei habe ich ohnehin, wie die, die mich kennen, wissen, nicht zu viel auf den Rippen.

Ich wollte meine Reise nicht abbrechen, falls doch alles eigentlich „halb so wild“ war. Mir war aber auch ganz klar, dass ich in diesem Zustand die nächsten sechseinhalb Wochen zu nichts in Indien in der Lage wäre. Außerdem wollte ich unter keinen Umständen in ein indisches Krankenhaus!!

Ich skypte noch einmal mit meinen Eltern und gemeinsam kamen wir zum Entschluss, dass es wohl das Beste sei, so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. -Eine Entscheidung, die ich bis heute nicht bereut habe! Ich buchte noch während des Skypegesprächs einen Flug von Jaipur aus und war in weniger als 24 Stunden zu Hause (dem digitalen Zeitalter sei Dank!).

Am 07. März endete somit mein Indientraum für mich.

Der Rückflug war sehr anstrengend und nach etlichen Stunden kam ich voller Erleichterung in Düsseldorf an. Am Nachmittag ging es sofort zu meiner Hausärztin, die mir erschrocken von meinem Anblick direkt Infusionen verordnete. Long story short:

Nach vielem Hin und Her und vermeintlich finalen Diagnosen ging es von meiner Hausärztin über die tropenmedizinische Ambulanz bis hin zu stationären Aufenthalten im Tropeninstitut samt Rückfall und erneutem Aufenthalt mit immer wieder neu dazukommenden Befunden. Diverse Bakterien im Magen-Darm-Trakt sowie Einzeller und die Diagnose Typhus (Ja, ich bin geimpft. Der Impfschutz beträgt aber leider nur 50%) waren das End vom Lied. Die Mikrobiologen spaßten schon, ob ich aus dem Ganges getrunken hätte. Mein behandelnder Arzt stellt mich den Studenten als "interessanten Fall" vor und meint, bei der Wahrscheinlichkeit, all das zu bekommen, hätte ich eher den Jackpot abräumen können. Und auch der Oberarzt staunt nach 20 Jahren Berufserfahrung in dieser Klinik über die gleichzeitige Integration all' dieser Krankheitserreger.

In Indien wäre all’ das sicherlich anders ausgegangen.

Weit länger als ich eigentlich in auf dem asiatischen Subkontinent gewesen wäre, hielt das Ganze jetzt an. Die nächste Reise geht erstmal nicht nach Asien. Natürlich sehe ich meine Indienerfahrung durch eine getrübte Brille. Ist alles etwas unglücklich gelaufen und sicherlich sehr unwahrscheinlich. Mittlerweile geht es mir wieder wirklich gut und hoffe, dass ein zweiter Typhusrückfall ausbleibt. Die Aussichten sind gut.

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